Neue Professorin für Lehren und Lernen in der Digitalen Welt an CAU und IPN

Portrait
Photo/Copyright: Henrik Schipper

Zum September 2024 wurde Frau Prof. Dr. Andrea Horbach auf die W3-Professur für "Lehren und Lernen in der Digitalen Welt mit einem Schwerpunkt auf Machine Learning und Learning Analytics" berufen. Die Professur ist eine gemeinsame Berufung der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) und des Leibniz-Instituts für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik (IPN). Sie wird sowohl am Institut für Pädagogik und Lehrkräftebildung (IPL) der CAU als auch in der Abteilung „Pädagogisch-Psychologische Methoden und Datenwissenschaften“ am IPN tätig sein.

Prof. Dr. Horbach ist Computerlinguistin und hat an der Universität des Saarlandes in Saarbrücken studiert und promoviert. Seit ihrer Promotion beschäftigt sie sich intensiv mit dem Thema Educational Natural Language Processing (EduNLP), das die Frage untersucht, wie Sprachtechnologie Lehrende und Lernende unterstützen kann. Nach ihrer Zeit in Saarbrücken war sie als Post-Doc am Language Technology Lab der Universität Duisburg-Essen tätig. 2021 übernahm sie die Leitung der Junior Research Group "EduNLP" bei CATALPA (Center of Advanced Technology for Assisted Learning and Predictive Analytics) an der FernUniversität in Hagen.Ab dem Sommersemester 2023 war sie als Juniorprofessorin für Digitale Geisteswissenschaften an der Stiftung Universität Hildesheim tätig.

„Als Computerlinguistin hat es mich schon immer fasziniert, wie der Computer menschliche Sprache generieren, analysieren und verstehen kann, obwohl Sprache so komplex und mehrdeutig ist. Im Bildungsbereich ist Sprache sowohl eine zu erwerbende Kompetenz, als auch das für uns Menschen natürlichste Vermittlungsmedium“

Mit ihrem Wechsel nach Kiel wird sie ihre Expertise in den Bereichen Machine Learning und Learning Analytics in die Forschung und Lehre an CAU und IPN einbringen. Ein besonderer Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt auf der Anwendung von NLP und Künstlicher Intelligenz im Bildungsbereich, etwa bei der automatischen Generierung und Bewertung von Lernaufgaben sowie der Entwicklung von Feedbacksystemen für Lernende.

Insbesondere beschäftigt sie sich seit ihrer Dissertation mit der automatischen Freitextbewertung und deren Auswirkungen auf den Lehr-Lernprozess. Ihre Forschung verfolgt dabei unter anderem das Ziel, Lehrkräfte durch nachvollziehbare Bewertungsvorschläge zu entlasten und die Qualität des Feedbacks für Lernende zu verbessern. Zudem untersucht sie, wie Schreibprozessdaten genutzt werden können, um frühzeitig unterstützende Rückmeldungen zu geben.

„Solche Forschungsfragen lassen sich meiner Meinung nach nur durch interdisziplinäre Forschung angehen, für die es in Kiel eine ideale Umgebung gibt.“

Prof. Dr. Horbach betont die Bedeutung interdisziplinärer Forschung für die Bearbeitung solcher Fragestellungen. In Kiel sieht sie ideale Bedingungen, um diese Forschung weiter voranzutreiben, insbesondere durch die Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen am IPN und IPL, mit denen sie bereits in Projekten wie TRACE und KISS-Pro kooperiert hat.

Wir haben sie im Interview zu den inhaltlichen Schwerpunkten ihrer Forschung befragt und sie gebeten, uns einen Ausblick auf ihre Pläne und möglichen Projekte zu geben.

Interview mit Prof. Dr. Andrea Horbach

IPN: Ihre Professur befasst sich mit „Lehren und Lernen in der Digitalen Welt“ und legt dabei einen besonderen Schwerpunkt auf Machine Learning und Learning Analytics. Was reizt Sie an dieser spezifischen Kombination?

Prof. Dr. Horbach: Als Computerlinguistin und Sprachtechnologin beschäftige ich mich damit, wie man menschliche Sprache automatisch analysieren und generieren kann. Das hat im Bildungsbereich ein großes Potenzial – ohne Sprache geht im Unterricht, auch in den Naturwissenschaften, nichts. Man kann hier an verschiedenen Stellen aus Sicht der Sprachtechnologie unterstützend eingreifen, z.B. durch Generierung von Aufgaben oder Lesetexten auf einem angemessenen Schwierigkeitsniveau, automatische Bewertung von Schreibprodukten oder automatisiertes Feedback.

Methoden des maschinellen Lernens erlauben es, aus großen Datenmengen, Algorithmen zu lernen, die das Wissen, das in diesen Daten steckt, auf neue Datenpunkte übertragen können. Wenn wir also gelernt haben, beispielsweise ein argumentatives Essay zu bewerten, können wir den Klassifikator auf immer neue Essays von Lernenden anwenden, ohne dass eine Lehrkraft manuell tätig werden muss. So können wir einerseits Lernende unterstützen und andererseits Lehrende bei zeitfressenden Aufgaben wie der Korrektur von Hausaufgaben entlasten.

IPN: Sie haben sich intensiv mit dem Thema Educational Natural Language Processing (EduNLP) beschäftigt. Welche zukünftigen Entwicklungen in diesem Bereich halten Sie für besonders vielversprechend und inwiefern beeinflussen diese auch Ihre Forschung?

Prof. Dr. Horbach: Aktuell zeichnen sich in der NLP-Welt einige Trends ab, die auch im Bereich EduNLP wichtig sind. In den letzten Jahren hat sich der alleinige Fokus auf Performanz geweitet, so dass auch die Erklärbarkeit von Algorithmen ein immer wichtigeres Kriterium wird. Erklärbare und vertrauenswürdige Algorithmen sind gerade im Bildungsbereich unabdingbar, sei es, dass man Erklärbarkeit nutzt, um das Vertrauen der Nutzenden in die Maschine zu stärken oder dass man Methoden der Erklärbarkeit ganz konkret für Feedback nutzt. Gleichzeitig erlaubt eine bessere Erklärbarkeit auch, mögliche Biases in Algorithmen zu erkennen.

Eine weitere wichtige Entwicklung ist, dass englische Daten nicht mehr der alleinige Hauptfokus von NLP-Forschung sind, sondern die sprachliche Vielfalt geschätzt wird und man mittlerweile beispielsweise auch gut international zu deutschen Daten publizieren kann. Im Machine Learning ist man ja auf große Datensätze angewiesen, ich freue mich, dass immer mehr Daten in den verschiedensten Sprachen verfügbar sind. Ich sehe großes Potenzial darin, jenseits von abgeschlossenen Lernendentexten auch Prozessdaten, wie z.B. Keylogs oder Eyetracking-Daten zu nutzen, um zum Beispiel idealerweise direkt im Schreibprozess Rückmeldung geben zu können und nicht erst, wenn der Aufsatz fertig ist.

Natürlich hat die breite Verfügbarkeit von generativen Large Language Models viele neue Anwendungen im Bildungsbereich ermöglicht und wird auch in Zukunft das Lehren und Lernen in vielerlei Hinsicht nachhaltig beeinflussen. Für NLP-Forschende stellen sich da Fragen wie: Was können LLMs, was können Sie (noch) nicht? Und wie lassen sich traditionellere Methoden mit LLMs sinnvoll kombinieren?

IPN: Welche Chancen und Herausforderungen bringt die Integration von Machine Learning und Learning Analytics in die Lehrpraxis Ihrer Meinung nach mit?

Prof. Dr. Horbach: Die große Chance von Machine Learning und Learning Analytics in der Lehrpraxis besteht im unmittelbaren Feedback, das den Lernenden jederzeit überall zur Verfügung steht, ohne auf die begrenzte Ressource der menschlichen Lehrkräfte angewiesen zu sein. Eine ideale Nutzung von Künstlicher Intelligenz in der Bildung würde jeder Lernerin und jedem Lerner einen eigenen automatisierten Tutor an die Seite stellen, der die individuellen Kompetenzen kennt und personalisiert unterstützen kann.

Das stellt uns natürlich vor eine ganze Reihe von Herausforderungen. Wie sieht optimales Feedback aus und wie können wir es automatisch generieren, idealerweise ohne auf zu viele Trainingsdaten angewiesen zu sein? Sind die Algorithmen, die Lernende bewerten, überhaupt fair? Welche Biases hat ein Feedback-Algorithmus, wie unterscheiden sie sich von den Biases der menschlichen Lehrkräfte? Wie gehen wir damit um, dass auch Lernende heutzutage selbstverständliche KI-Tools nutzen, zum Beispiel für Schreibaufgaben?

Ganz praktisch ist oft auch die technische Ausstattung an Schulen und die Akzeptanz von KI-Methoden durch Lehrkräfte eine Herausforderung.

IPN: Was sind Ihre ersten konkreten Pläne an der CAU und dem IPN? Gibt es Projekte oder Initiativen, die Ihnen besonders am Herzen liegen?

Prof. Dr. Horbach: Aktuell bin ich dabei, mein neues Team aufzubauen, während ich das große Glück habe, weiterhin mit hochmotivierten Doktorandinnen an der Universität Hildesheim und bei CATALPA in Hagen arbeiten zu können und bestehende Kooperationen weiterzuführen.

Ein wichtiges Thema dabei ist die automatische Bewertung von argumentativen Texten, bei der verschiedene argumentative Einheiten in Schulaufsätzen erkannt und angezeigt werden: Wo im Text sind Argumente, wo die Einleitung und Conclusion? Meine Hagener Doktorandin Yuning Ding und ich schauen uns auch an, wie man solche Algorithmen auf neue Kontexte übertragen kann, beispielsweise untersuchen wir den Transfer auf neue Aufgabenstellungen, aber auch den Transfer zwischen verschiedenen Lernszenarien. Was unterscheidet z.B. Aufsätze aus dem Deutschunterricht in Deutschland von Essays einer amerikanischen High School und was bedeutet das für die automatische Bewertung? Hier arbeiten wir auch schon intensiv mit der DARIUS-Nachwuchsgruppe am IPN zusammen.

Ein weiteres Kernthema ist die automatische Freitextbewertung von Kurzantworten, einem Aufgabentyp, der auch bei den großen Lernstandserhebungen zum Einsatz kommt. Hier arbeite ich gemeinsam mit CATALPA-Doktorandin Marie Bexte und weiteren KollegInnen in Hagen und am DIPF in Frankfurt insbesondere an cross-lingualen Ansätzen über verschiedene Sprachen hinweg, bei denen beispielsweise die Trainingsdaten eines Algorithmus in einer anderen Sprache vorliegen als die Texte, auf die man den Algorithmus anwenden möchte.

Ein dritter Schwerpunkt sind linguistische Phänomene, die die Schwierigkeit von Texten für Lernende beeinflussen bzw. die indikativ für den Sprachstand von Lernenden sind. Hier vergleiche ich zum Beispiel in Kooperation mit dem TestDaF-Institut sprachliche Eigenschaften von Lesetexten, die entweder vom Menschen oder einer generativen KI geschrieben wurden oder untersuche mit meiner Hildesheimer Doktorandin Anna Hülsing die automatische Erkennung von Metaphern in Aufsätzen als ein Merkmal von kompetenter Sprachverwendung.

Darüber hinaus sind weitere Projektideen in Arbeit, beispielsweise zur erklärbaren Bewertungsunterstützung von Lehrkräften, zur Arbeit mit Prozessdaten oder zu Feedback zum Schreiben im Fremdsprachenunterricht. Die doppelte Anbindung an IPN und IPL bittet darüber hinaus eine optimale Ausgangsbasis für die Anbahnung weiterer Kollaborationen.

IPN: Was bedeutet es für Sie persönlich, eine Professur in einem so schnell wachsenden und dynamischen Bereich wie der digitalen Bildung zu übernehmen?

Prof. Dr. Horbach: Ich freue mich, dass ich nun in Kiel eine langfristige Perspektive habe, meine Begeisterung für Sprache, Informatik und Bildung zu verbinden und ein eigenes Forschungsprogramm aufzubauen. Dafür liefert Kiel ideale Rahmenbedingungen.

Aktuell tut sich im Bereich der Digitalen Bildung natürlich auch international sehr viel. Als Co-Organisatorin des Building-Educational-Applications-Workshops im Rahmen der ACL (Association for Computational Linguistics) habe ich in den letzten zwei Jahren einen immensen Zuwachs an Paper-Einreichungen aus den verschiedensten Ländern erlebt. Das freut mich persönlich natürlich sehr, schließlich bedeutet ein verstärktes Interesse an dem Thema auch viele spannende neue Kooperationsmöglichkeiten.